Die Schnoat, ein Fleckchen Heimat
Hallo Uli Eder,
Wenn man die Erinnerungen von 60 Jahren in irgendeiner Weise aufschreiben oder anderweitig lebendig machen will, fallen einem der Anfang und der Beginn nicht gerade leicht. Ein Dilemma, wo doch alles so klar vor einem liegt. Ich versuche es aber dennoch.
Mein Name ist Hermann Goff und ich wurde am 07. Nov. 1946 in München geboren. München die zerstörte Stadt, verbrand und nur noch ein Haufen von Trümmern. Wohnraum null, Brot null und somit auch Perspektive null. Wir mussten raus aus der Stadt, mussten dorthin gehen, wo das Brot wächst. Natürlich habe ich davon, im Alter von zwei Jahren, nichts mitgekriegt. Aber die Erwachsenen, auch meine Mutter, hatten und sahen keine Alternative. Aber wohin? Na eben dorthin, wo schon Verwandte oder Bekannte waren. Dem ertrinkendem erscheint jeder Strohhalm wie ein Balken und dem hungerndem ist kein Weg zu weit, wenn sich nur ein Fünkchen Hoffung zeigt. Zur damaligen Zeit mit seiner Hoffnungslosigkeit und den strengen Wintern, die Schauer körnigen Eises durch die unpassierbaren Strassen einer dämonisch wirkenden Stadt sandten, drängte beinahe alles hinaus auf´s Land. Hamstern nannten die Städter das. Irgendetwas und sei es noch so unsinnig, eintauschen für Eier und Speck, Mehl und Brot, Hauptsache essbar. Ganze Züge von Hamsterern überzogen das Land und im nach hinein betrachtet, fragt man sich, wie die Landwirtschaft das verkraftet hat.
Mit einem Personenzug, der an jeder Milchkanne anhielt, gezogen von einer Dampflokomotive, erreichten wir in den Abendstunden eines trüben und kalten Novembertages den Bahnhof Rückstetten. Rückstetten, ein gottverlassenes Nest in der Oberschnoat, wurde in jener Zeit zum Drehkreuz der Großstadthamsterer. Von dort schwärmten sie aus und überzogen diesen Teil Oberbayerns mit ihren Tauschgegenständen. Rucksäcke, Plastikkoffer, Körbe und Taschen, alles was man füllen konnte war gerade recht genug.
Zu Fuß, ich auf einem Schlitten sitzend und meine zwei Jahre ältere Schwester nebenher laufend, machten wir uns auf den kalten, langen Weg nach Teichting. Niemand hätte zum damaligen Zeitpunkt ahnen oder gar vorhersagen können, dass dieser Ort mit seinen vier Bauernhöfen, einem "Sache" und einer Schweizerei für die nächsten 15 Jahre nicht nur der Mittelpunkt meines Lebens werden würde, sondern dass ich von hier aus auch die Grundlage einer starken, langen Zeit unverfälschten, menschlichen Psyche erhalten würde.
Als kleiner Bub war ich von Teichting fasziniert. Hühner zu jagen, Schafe zu streicheln, Kühe zu bewundern einfach das gesamte Leben auf einem Bauernhof in vollen Zügen genießen. Ganz langsam, unmerklich für Jedermann und für mich selbst, wurde ich Teil der stets gegenwärtigen, sich den Jahreszeiten anpassenden Natur. Aber dazu später!!!
Unsere schon anwesenden Verwandten hausten in einem kleinen "Zuhaus" beim Bauer Roglmaier. Es war verdammt eng und im Winter kalt. Im ganzen Häuschen war nur eine Heizgelegenheit in Form eines eisernen Ofens, der zugleich als Kochstelle diente. Eine zugige Holztüre trennte den einzigen ebenerdigen Raum vom Freien. Dieser Raum, nicht gerade groß, war Küche, Wohnraum, Schlafraum und Mittelpunkt für alles. Eine Sanitäre Einrichtung gab es nicht. Das Klo, wenn man eine Holzhütte von einem Quadratmeter Größe, windschief über einer Sickergrube gestellt, nur unwesentlich befestigt, im Winter eiskalt und im Sommer ein Eldorado für Schmeißfliegen, so nennen will, war in Wahrheit ein Scheißhaus mit einer quietschenden Türe und einem wunderschönen Ausblick auf Staufen, Zwiesel und Untersberg. Da nur alle drei Tage ein Motorrad oder ein Fuhrwerk vorbeifuhr, konnte man die Türe getrost offen lassen, was dazu führe, dass sie eines Tages nicht mehr zu schließen war. Fließendes Wasser gab es natürlich nicht. Das Wasser musste man sich aus einem Brunnen, maximal 40 Meter entfernt, mit Eimern holen. Es war ein frisches, auch im Hochsommer angenehm kühles Wasser, garantiert ohne Chlorzusatz. Ach ja, ebenerdig gab es da noch so etwas wie ein Waschhaus mit gleichzeitigem Zugang zum steinernen Backofen, in dem die Roglmaiermutter in Abständen Brot buk. Ein großer steinerner Zuber war zum beheizen und diente als Waschtrog und Badewanne zugleich.
Zeitweise wohnten im dem Häuschen das oben noch drei winzige Zimmer hatte, sechs Erwachsene und zwei Kinder. Beinahe unerträgliche Zustände, aber die Not ließ nichts anderes zu. Irgendwie war für uns Kinder immer wieder etwas zu Essen da und die widrigen Umstände, sollten wir erst später spüren und begreifen. Ich für meinen Teil habe mich schon früh zu den Bauern abgesetzt. Soll heißen, ich war von den Tieren fasziniert und angetan. Ganz langsam und für mich lange Zeit nicht begreifbar, wurde ich von der Natur eingenommen. Und wie ein bunter Faden in einen Teppich eingewebt wird um darin aufzugehen, wurden Wiesen, Äcker und Wälder meine Vertrauten. Die Landschaft der Schnoat mit seinen lieblichen sanften Hügeln, den im Sommer staubigen Bauernstrassen und den immer tragenden Obstbäumen, wurde meine Heimat.
Eines Morgens kam der Lastwagen und unsere, mir so lieb gewordenen Verwandten, vor allem Mama und Papa, die ja unsere Pflegeeltern waren, weil unsere leibliche Mutter in München wohnte, zogen zurück nach München. Was zurückblieb, waren verstörte Kinder, die nicht recht wussten, was hier vor sich ging. Auf alle Fälle zog in Gestalt unserer Mutter härte und Strenge in das armselige Häuschen ein. Und auch der Hunger!!!
Das lieber Herr Eder könnte der Anfang eines Buches sein, in dessen Mittelpunkt die Schnoat ist. Natürlich bin ich ein waschechter Schnoater, das können viele Leute bezeugen, denn schließlich habe ich 15 Jahre lang dort gewohnt und irgendwie war ich in jedem Haus und Hof daheim. Damals habe ich nicht immer nur frohlockt, aber heute da ich auf mein Leben zurückblicke, steht fest, dass es für mich ein ungemeines Glück war in dieser friedlichen Gegend ohne jede Hektik, Zank und Ärger aufgewachsen zu sein. Und noch etwas hat mich begleitet und für mein Leben da draußen in der Ferne geprägt, die Nächstenliebe, die Gutmütigkeit und der tiefe Glaube der fast allen dort lebenden ein ehernes Gesetz war.
Obwohl ich in meinem Leben viel gesehen, viel erlebt und einiges bewegt habe, hat mich dennoch nichts so sehr geprägt wie mein Leben in der Schnoat. Dort zwischen Wiesen und Feldern, das ist mir längst bewusst, sind auch meine Wurzeln vergraben. Und egal, ob ich etwa auf der Chaussee Elysee in Paris, der Via Roma in Cagliari oder irgendwo in der Caribic ein Glas Rotwein getrunken habe und die Menschen und die Landschaft dort genossen habe, ganz tief in meinem Herzen bin ich immer ein Schnoater geblieben.
Vielleicht setze ich mich eines Tages wirklich hin und schreibe alles nieder. Denn die Schnoat hat eine bewegte Vergangenheit. Da haben schon zu meiner Zeit die etwas hochnäsigen Pettinger Bauklötze gestaunt. Auch wenn ich damals noch zu jung war um mitzumischen, habe ich doch „gekneist“ was sich so alles abgespielt hat. So konnten es zum Beispiel die warmherzigen Schnoater Burschen auf die Dauer nicht mit ansehen, wie die Töchter der Sommergäste in den Nachtstunden vor Einsamkeit in die Taschentücher weinten und gründeten auf Grund sozialen Engagements den „ Fremden Unterhaltungsverein“. Und während in Petting um 8 Uhr Abends die Lichter gelöscht wurden, war in der Schnoat der Bär los.
Vielleicht lieber Uli Eder kann ich ja mal bei Ihnen vorbeifahren, wenn ich meine Mutter in Petting besuche. Ich finde es übrigens toll, dass die Menschen aus der Schnoat ihre Heimat pflegen und dass sie dafür auch das Internet benützen. Unvorstellbar Herr Eder, unvorstellbar, dass sich die Schnoat heute mit einem Medium von universellem Umfang mit Lichtgeschwindigkeit präsentiert, hat doch der Roglmaier Steffan seinen Vater vor 50 Jahren noch mit den Ochsen vom Bahnhof Rückstetten abgeholt. Dieses Abholszenario hätte beinahe länger gedauert als der 2 Wochen Klinikaufenthalt in München. Usw.usw. und vor lauter schwärmen finde ich wieder einmal keinen Schluss.
Herr Eder sollte ich mit meinen geistigen Ergüssen zu viel Platz auf Ihrer Homepage einnehmen oder Sie meinen das alles passt nicht, dann streichen Sie mich einfach heraus. (Anmerkung Uli: hätte ich den Platz nicht gehabt, dann hätte ich ihn geschaffen - eine wunderbare Geschichte und das ist genau das was ich suche)
Nun aber viele Grüße aus der Metropol Region Nürnberg und alles Liebe und Gute für die Schnoat und seine tollen Bewohner wünscht Ihnen
Ihr
Hermann Goff
P.S. Es soll also keiner glauben, dass ich meinen Schnoater Dialekt verlernt habe, aber beim Schreiben habe ich so meine Probleme.